„Ich geh‘ jetzt beten“

Replik von Stadtrat Andreas Koch auf die Würdigungen von Oberbürgermeister Matthias Klopfer und Stadträtin Carmen Tittel anlässlich seiner Verabschiedung aus dem Gemeinderat am 16.12.2024

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Klopfer, sehr geehrte Frau Stadträtin Tittel, meine Damen und Herren,

„alles sagt mir: Es ist Zeit.“ Mit diesem Wort von Theodor Fontane mache ich einen Schlussstrich unter 30 Jahre ehrenamtliches politisches Engagement für Esslingen. Meine angeschlagene Gesundheit legt es nahe, dass ich mich jetzt erst einmal um mich selber kümmere. Vorher möchte ich uns aber noch ein paar „Erinnerungsstücke“, wie ich sie nenne, mit auf den Weg geben. Sie bündeln, was mir zum Abschied heute wichtig ist, und kreisen um die Worte „Zuversicht“, „Dank“ und, ja, auch dreimal „Stolz“.

Stolz (1). Drüben auf dem Marktplatz spricht mich eine Frau auf Esslingen an. Sie ist gerade zu Besuch. Ob ich selber hier zuhause sei, fragt sie. Als ich Ja sage, gratuliert mir die Frau überschwänglich: „Herzlichen Glückwunsch zu eurer tollen Stadt! “

Schade, dass wir, die wir hier leben, kaum jemals ähnlich begeistert sind von unserer Stadt wie diese Besucherin! Im Gegenteil: Wir malen häufig schwarz! Dabei hat Esslingen vieles, was andere Orte nicht zu bieten haben. Wie wäre es deshalb, wenn wir wieder stolz darauf wären, Esslingerinnen und Esslinger zu sein? Richtig verstandener Stolz auf Esslingen: Er würde guttun, davon bin ich überzeugt. Nörgeln dagegen bringt uns nicht weiter.

Übrigens: Es war ein gewisser Johannes Molitorius, der 1522 Esslingen mit Korinth, Rhodos und Trojah gleichgesetzt hat. Ob da nicht ein paar Trollinger-Vierteles zu viel kredenzt worden sind?

Stolz (2). Nicht auf 1522, sondern auf Januar 2024 datiert mein aktueller Stolz auf Esslingen. Da finden sich auf dem Esslinger Marktplatz sage und schreibe 8.000 Menschen zusammen, um gegen rechtsextreme Bestrebungen zu protestieren. „Rechtsextrem“, das heißt für mich: hinter der Maske der Harmlosigkeit Menschen ausgrenzen, nur weil sie anders sind. Anders sein, anders sprechen, anders leben, anders lieben, anders denken oder anders glauben ist aber kein Makel, sondern Ausdruck von Vielfalt. Esslingen ist eine bunte Stadt des Miteinander. Alles andere passt nicht zu ihr. Für diese Buntheit unter anderem im Januar eingestanden zu sein, auch darauf können wir wie gesagt stolz sein. Wobei es eine Aufgabe ist, die bleibt.

Stolz (3). Sie, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Klopfer, und Sie, liebe Kollegin Tittel, haben mich in Ihren Redebeiträgen gelobt. Das lässt mich Ihnen danken, das freut mich und das macht mich, um bei dieser Begrifflichkeit zu bleiben, auch ein bisschen stolz.

Vielleicht habe ich ja tatsächlich in meinen 30 Jahren im Gemeinderat etwas bewirken können. Mein erster „Erfolg“: ein zusätzliches Waschbecken in der Kindertagesstätte Entengraben. Mein letzter „Erfolg“: eine Fußgängerampel am Übergang vom „ES“ zum „QBUS“ in der Berliner Straße. Und irgendwo dazwischen mein, nein unser schönster „Erfolg“: eine von der SPD angestoßene Vereinbarung mit den Wochenmarktbeschickern, bei besonderen Anlässen wie dem Mittelalter- und Weihnachtsmarkt den Marktplatz freizugeben.

Vieles, was unsere Stadt nach vorne bringen sollte, wurde in den letzten 30 Jahren begonnen und erfolgreich abgeschlossen, manches dagegen noch nicht einmal angefangen. Wahrscheinlich

deshalb habe ich immer wieder diesen einen Traum: dass im Jubiläumsjahr 2027 unser Marktplatz tatsächlich umgestaltet, die Schelztorhalle saniert und Esslingen wieder Gastgeber eines hochkarätigen Handballturniers ist. „Sportlich“ sei dieses Ziel, pflegt unser Baubürgermeister in solchen Fällen eher skeptisch zu sagen, und dass er es „mitnehme“. Herr Sigel, Sie, wir schaffen das – wenn wir nur wollen.

Und schaffen wir es miteinander endlich auch mit der Stadtbücherei? Der alte Römer Cicero sagt: „Hast du einen Garten und eine Bibliothek, hast du alles, was du brauchst.“ Vielleicht sollten wir mit dem Garten anfangen. Dann hätten wir wenigstens eins.

Dank. Als in der SPD noch jemand auf mich gehört hat, habe ich es unter Androhung einer Strafe von fünf Euro für die Fraktionskasse strikt untersagt – ich weiß, dass du, liebe Heidi Bär, das anders gesehen hast –, einen Redebeitrag so zu beginnen: „Wir danken der Verwaltung für ihren Vortrag und freuen uns.“ Also ehrlich gesagt freu ich mich an anderen Dingen als an Verwaltungspräsentationen, und den Redakteuren der Eßlinger Zeitung fällt, wenn sie diesen Satz hören, vor Langeweile der Stift aus der Hand.

Gleichwohl widme ich diesen Passus nun doch den Mitgliedern der Verwaltung, verbunden mit einem herzlichen Dankeschön für die das kommunalpolitische Ehrenamt vorbildlich unterstützende Arbeit. Gerne würde ich Sie alle mit Namen nennen, aber da ich in meinen 30 Gemeinderatsjahren schon allein drei Oberbürgermeister und sieben verschiedene Bürgermeister erleben durfte, würde das mit der Namensnennung zu weit führen.

Aber das wenigstens muss gesagt sein: dass „Well Done Raab“ alias der entsprechende Bürgermeister immer noch Kontakt zu mir hält; dass ich es zu schätzen weiß, dass einem anderen Dezernenten mein Geburtstag so wichtig war, dass er mir ein halbes Jahr zu früh gratuliert hat; dass der damalige Kulturreferent nach jedem Kulturausschuss kündigen wollte und es vier Bier mit steigender Tendenz bedurfte, um ihn von diesem Vorhaben abzubringen; dass ich nie eine sonorere Stimme gehört habe als die vom Stadtarchivar Dr. Bernhardt; und dass der Grünflächenamtsleiter genauso im Ausschuss vorgetragen, wie er geheißen hat, nämlich Ernst Robert Hepperle.

Wie gesagt vielen Dank, Kompliment für die gute Arbeit und im einen oder anderen Fall auch sorry! Dass ich den sozialdemokratischsten aller christdemokratischen Bürgermeister einmal als „unsichtbaren Dezernenten“ tituliert habe, war ziemlich überflüssig.

Zuversicht. Stopp! Die Gemeinderatstagesordnung, die folgt, ist zu lang, als dass es hier unendlich weitergehen könnte. Und also trete ich auf die Bremse und frage nur noch: Sagen Ihnen diese Namen etwas: Dr. Hartmut Richter – Ursula Oppermann – Gustav Hägele – Wilhelm Deuschle – Ansgar Ocker – Inge Hekler – Wilhelm Berner? Das sind wahllos herausgegriffen und pars pro toto Stadträtinnen und Stadträte aus meinen Anfangszeiten: Hartmut Richter, Kulturpolitiker par excellence – Ursula Oppermann, Mitglied der legendären Krankenhausmafia, die den Chefärzten ungeachtet der Kosten jeden Wunsch von den Lippen abgelesen hat – Gustav Hägele, ein echter Esslinger Wengerter – Wilhelm Deuschle, Relikt aus glückseligen Tagen Berkheimer Selbständigkeit– Ansgar Ocker, der mit Sozialdemokraten nichts anfangen konnte, aber mich irgendwie gemocht hat – Inge Hekler, grad von einer USA-Reise zurück, und das mit 90 – und Wilhelm Berner, mutig sein Ja zur Moschee verteidigend. An sie kann ich mich noch erinnern, an viele andere auch. Manche habe ich vergessen.

Und damit komme ich zu Ihnen, liebe Stadtratskolleginnen und -kollegen. Mit manchen von Ihnen habe ich mehr Lebenszeit verbracht als mit meinen Kindern, und das ehrenamtlich. Wobei das Ehrenamt zunehmend an Grenzen stößt. Komplexe Themen, Sitzungen, die früh beginnen, lange

dauern und spät enden, im Gemeinderat eine zerklüftete Parteien- und Fraktionslandschaft sowie Bürgerinnen und Bürger, die einem manchmal alles erweisen, nur keine Ehre: Wer kann, wer will da noch Volksvertreter sein? Und doch sind wir es, weil es uns nach wie vor lohnend und als unsere Bürgerpflicht erscheint, uns für Esslingen und die Demokratie einzusetzen. Dazu wünsch ich Ihnen Zuversicht, Optimismus und Gottvertrauen. Und ich drücke Ihnen dafür die Daumen, dass Sie in Ihrer jeweiligen Gruppierung oder Partei neben allem anderen so viel menschliche Wärme erfahren dürfen wie ich in der meinen. Danke, SPD!

Ein kurzer Schluss. Zum einen: „Alles sagt mir: Es ist Zeit.“ Danke, dass Sie mich heute Nachmittag auf meinem Weg in den politischen Ruhestand begleiten! Zum andern: Sollten Sie der Auffassung sein, es wäre für Esslingen besser gewesen, ich hätte nicht in der lokalen Politik mitgemischt, wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an Wolfgang Drexler, unseren Ehrenbürger. Er ist an allem schuld. Aber das ist eine andere Geschichte. Und schließlich: „Pfaffen sollen beten, nicht regieren“, hat Martin Luther einmal gesagt. Bei mir, Bruder Martinus, hat sich’s ausregiert. Ich geh jetzt beten. Das Café am Rathaus NALI nebenan wartet schon. Danke und Amen.