Neue Brücke, alter Name? Diese Frage hat sich die SPD in den letzten Wochen intensiv gestellt, sich für ihre Beantwortung die nötige Zeit genommen und sich erlaubt, die Entscheidung in dasjenige Gremium zu vertagen, das allein zuständig sein kann, nämlich der Gemeinderat als Ganzes.
Neue Brücke, alter Name? Wie Freie Wähler, FDP und CDU votieren, wird sich zeigen. Grüne und Linke haben schon entschieden: keine Schleyer-Brücke mehr! Das meinen wir auch, aber erst, nachdem wir das Gespräch mit anderen gesucht haben. Wenn nicht bei dieser Frage, wann dann ist Hören, ist Beteiligung, ist Diskussion angesagt? Hören, Beteiligung und Diskussion aber brauchen Zeit. Ganz abgesehen davon, dass vielen von uns die Bilder des RAF-Terrors noch in lebendiger Erinnerung sind, unter ihnen das menschenverachtende Foto von Hanns Martin Schleyer in der Geiselhaft der Terroristen. Da sind schlimmste Verbrechen begangen worden, und es wäre fatal, sie – und sei es nur ungewollt – durch einen Verweis auf die schwierige Vergangenheit eines ihrer prominentesten Opfer zu relativieren oder gar zu entschuldigen. Ja, Schleyer war ein Nationalsozialist, aber in dem Augenblick, als er ermordet wurde, ist er einfach nur Mensch gewesen! Das sollten wir nicht vergessen.
Zum Namenspatron einer Brücke oder von was auch immer sonst eignet sich Hanns Martin Schleyer gleichwohl nicht – und das heute weniger denn je. Eine solche Funktion, die ja immer zugleich auch Ehrung ist, setzt eine hohe persönliche Integrität voraus, und die ist nicht gegeben, wo jemand sich zu keinem Zeitpunkt vom eigenen politischen Irrweg distanziert. Das mag in den von den Schrecken des Terrorismus geprägten siebziger Jahren kein Ausschlussgrund gewesen sein. 2023 dagegen ist es einer. Oder anders ausgedrückt: Vor dem Hintergrund dessen, was wir über ihn wissen, und angesichts der Tatsache, dass rechtes Gedankengut dieser Tage frech-fröhliche Urständ feiert, käme aktuell doch hoffentlich niemand auf die Idee, nach Hanns Martin Schleyer eine Brücke zu benennen. Dann gibt es aber auch keinen Grund, die alte Benennung fortzuschreiben. Im Gegenteil: neue Brücke, neuer Name!
In dieses unser Fazit ist natürlich auch der entsprechende Vor-Ort-Termin der SPD eingegangen. Überraschend viele waren unserer Einladung gefolgt, allesamt komplett unideologische Mettinger, Brühler und Weiler Bürgerinnen und Bürger. Die aber haben unisono die Auffassung vertreten: „Weiter Schleyer, das geht gar nicht!“ Das hat uns in seiner Eindeutigkeit überrascht, war aber so. Allerdings haben sie uns auch noch etwas Zweites mit auf den Entscheidungsweg gegeben, nämlich die dringende Bitte, das neue Brückenbauwerk Mettinger Brücke zu nennen. „Bloß ja nichts, was mit unseren Stadtteilen nichts zu tun hat! Dafür gerne das Bild von der Brücke, das symbolisiert, was unser zersplitterter Stadtteil am meisten braucht: Zueinanderfinden, Verbindung, Gemeinsamkeit!“
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, die SPD will kein namensmäßiges „Weiter so“. Stattdessen folgen wir dem Verwaltungsvorschlag und dem Votum des Stadtteils: Die neue Brücke soll „Mettinger Brücke“ heißen. Indem wir auf diese Weise das Namenspatronat von Hanns Martin Schleyer quasi auslaufen lassen beziehungsweise es nicht auf das neue Bauwerk übertragen, tragen wir Schleyers Vergangenheit Rechnung, ohne an der Tragik seiner Ermordung irgendwelche Abstriche zu machen. Überhaupt sollten wir uns bei dem Ganzen nicht als die besseren Menschen wähnen. Wir gehen auf einem schmalen Grat. Mehr als nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden können wir nicht.
Redebeitrag von SPD-Stadtrat Andreas Koch in der Gemeinderatssitzung vom 24. Juli 2023